Zum Ablauf napoleonischer Schlachten.


Verständliche Erläuterungen dazu, wie eine Schlacht funktionierte, warum ein Angriff fehlschlug und ein anderer gelang, warum Einheiten die Flucht ergriffen und andere im Feuer ausharrten, sind relativ selten. Eine Ausnahme bildet meines Wissens nur John Keegan's The Face of Battle, 1975 in London und 1978 in Deutschland unter dem Titel Die Schlacht in Deutschland beim Econ-Verlag, später als DTV-Taschenbuch erschienen. Ich habe deswegen hier ein paar Texte dazu zusammengestellt.

Zunächst, stellvertretend für zahlreiche Memoirenwerke, die eine Schlacht aus der Perspektive des einzelnen Soldaten schildern, ein kurzer Auszug aus dem 4. Kapitel des 1. Buches im 1. Teil von Carl von Clausewitz' Werk Vom Kriege:

Von der Gefahr im Kriege.
[...] Begleiten wir den Neuling aufs Schlachtfeld. Wenn wir uns demselben nähern, so wechselt der immer deutlicher werdende Donner des Geschützes endlich mit dem Heulen der Kugeln, welches nun die Aufmerksamkeit des Unerfahrnen auf sich zieht. Kugeln fangen an, nahe vor und hinter uns einzuschlagen. Wir eilen zu dem Hügel, auf welchem der kommandierende General mit seinem zahlreichen Gefolge hält. Hier wird das nahe Einschlagen der Kanonenkugeln, das Zerspringen der Granaten schon so häufig, daß der Ernst des Lebens sich durch das jugendliche Phantasiebild hindurchdrängt. Plötzlich stürzt ein Bekannter - es schlägt eine Granate in den Haufen und bringt einige unwillkürliche Bewegungen hervor - man fängt an zu fühlen, daß man nicht mehr völlig ruhig und gesammelt ist; auch der Bravste wird wenigstens etwas zerstreut. - Jetzt einen Schritt in die Schlacht hinein, die vor uns tobt, fast noch wie ein Schauspiel, zum nächsten Divisionsgeneral; hier folgt Kugel auf Kugel, und der Lärm des eigenen Geschützes mehrt die Zerstreuung. - Vom Divisions-zum Brigadegeneral - dieser, von anerkannter Tapferkeit, hält vorsichtig hinter einem Hügel, einem Hause oder hinter Bäumen; - ein sicherer Exponent der steigenden Gefahr - Kartätschen rasseln in Dächern und Feldern, Kanonenkugeln sausen in allen Richtungen an und über uns weg, und schon stellt sich ein häufiges Pfeifen der Flintenkugeln ein; - noch ein Schritt zu den Truppen, zu der im stundenlangen Feuergefecht mit unbeschreiblicher Standhaftigkeit ausharrenden Infanterie; - hier ist die Luft erfüllt von zischenden Kugeln, die ihre Nähe bald durch den kurzen scharfen Laut verkünden, womit sie zollweit an Ohr, Kopf und Seele vorüberfliegen. Zum Überfluss schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.
[...] Es ist wahr, die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab; nach einer halben Stunde fangen wir an, gleichgültiger gegen alles zu werden, was uns umgibt, der eine mehr, der andere weniger; aber bis zur völligen Unbefangenheit und natürlichen Elastizität der Seele bringt ein gewöhnlicher Mensch es immer nicht [...].

Besonders wertvoll sind die nachstehenden Auszüge aus dem 1860 in Berlin erschienenen Werk Die Kaiserlich Russisch-Deutsche Legion, von Barthold von Quistorp verfaßt, der damals Hauptmann und Lehrer an der Kriegsschule Potsdam war. Quistorp, 1825 geboren und 1844 in das 31. Preußische Infanterie-Regiment eingetreten, an dessen Feldzügen 1848/49 er teilnahm, beendete 1883 seine aktive militärische Karriere als Generallieutenant. Bekannt ist er manchem noch durch sein hervorragendes Werk Geschichte der Nord-Armee im Jahre 1813, das in drei Bänden 1894 in Berlin veröffentlicht wurde.

In der Einleitung zu seiner Kaiserlich Russisch-Deutschen Legion führt er eine lange Liste von Feldzugsteilnehmern und Augenzeugen der Befreiungskriege auf, von denen er Informationen zur Abfassung seines Buches erhielt.

Wirkung von Artilleriefeuer. (Quistorp, Seite 64)
Jede in eine geschlossene Truppe treffende Geschützkugel macht die zunächst Stehenden momentan auseinander spritzen, wie ein Stein, der in's Wasser fliegt; nachdem der erste Eindruck vorüber, nimmt bei einer guten Truppe Alles rasch wieder seinen Platz ein, wie die zerstreuten Wassertropfen auf der tiefsten Stelle wieder zusammenfließen. Je rascher aber die Kugeln nach einander einschlagen, desto unvollkommener gelingt das Sammeln, und besonders schwer ist in der Reiterei die Ruhe zu erhalten, wo die durch die Ueberraschung erzeugten unwillkürlichen Bewegungen von Faust und Schenkel eine andere Wirkung hervorbringen als bei der Infanterie. Erst in feuererprobten Truppen pflegen diese Erscheinungen sich auf ein geringes Maß zu beschränken; bei der Kavallerie besonders, nachdem die Pferde durch dürftige Verpflegung und die Anstrengung des Feldzuges matt und gegen äußere Eindrücke unempfindlich geworden sind. Es kommt dann so weit, daß das Thier kaum den Kopf zur Seite wendet, wenn ihm ein Ohr abgeschossen wird.
Bajonettangriffe. (Anmerkung zu Seite 92)
Man führt geschlossene Angriffe auf dem Uebungsplatze so aus, wie man es in Wirklichkeit zu thun wünscht, aber wie es nie gelingt; d. h. in strenger Richtung und Tritt, bis zum letzten Augenblick in geregeltem Tempo, und auf 20 Schritt vom supponierten Feinde wird das Gewehr gefällt. Auf dem Schlachtfelde gelingt ein Tritthalten so gut wie nie; Alles, was sich erreichen läßt, ist, daß nur die Queue der Kolonne unter fortwährender Ermunterung der Offiziere dicht heranbleibt, und das Ganze eine feste Masse bildet. Das Schlagen der Tamboure ist vom größten Nutzen; aber nicht zum Tritthalten – denn das ist vergebens – sondern zum Beleben des Muthes. Es macht einen guten Eindruck, wenn überall rechts und links der Sturmmarsch schallt, und jeder Soldat daraus abnimmt, daß nicht er allein, sondern die ganze Genossenschaft, im dreisten Vorrücken ist.
Wenn der Bajonettangriff guten Fortgang hat, so fangen zuerst die feindlichen Tirailleurs an auszuweichen; wenn endlich auch das Feuer der geschlossenen Linie ihn nicht zum Stehen bringt, so sieht man selbige erst auf einem Punkte, dann allmählig überall kehrt machen, und unordentlich davonlaufen. Dieser Erfolg kommt wahrlich nicht von dem Verlust an Mannschaft, der ihr beigebracht ist, denn höchstens die begleitenden Tirailleurs fügten ihr einigen Schaden zu, sondern weil ihre Standhaftigkeit durch den unaufgehaltenen Angriff gebrochen war. Besagt eine Gefechtsbeschreibung: der Feind wurde mit dem Bajonett geworfen - so ist darunter in der Regel zu verstehen: Es wurde ihm mit dem Bajonett gedroht, und er fand für gut dieser Drohung auszuweichen. "Unter hundert Fällen" - sagt ein viel erfahrener General, der Herzog E u g e n von Württemberg - "wird neun und neunzig mal das Bajonett eher als Zierrath wie zur Stoßwaffe dienen. Erfolgreiche Attacken, bei denen es zur Anwendung kam, habe ich nur da erlebt, wo der schon flüchtige Feind, durch Terrainhindernisse am Weichen gehindert, der Wuth des Verfolgers vollen Ausbruch gestattete." - "Der Kampf ist mehr ein Todschlagen des Muthes, als ein Todschlagen der Streiter." Selten hat eine Truppe im Gefecht soviel Mannschaft verloren, daß sie an Zahl zu gering wurde, um weiter Etwas zu leisten. Ein Bataillon, das von 600 auf 400 Mann reduciert wird, ist an Kopfzahl nicht so schwach, daß man es deswegen aus der Linie zurückziehen sollte. Die Erfahrung lehrt aber, daß selbst gute Trupen, wenn sie ein Sechstel bis ein Viertel der Mannschaft verloren, in ihrem Muth und in ihrer Widerstandsfähigkeit so gebrochen sind, daß sie für den Augenblick fast nicht mehr zählen. So jener Hornist des stark mitgenommenen hannoverschen Bataillons Bremen, der am 18. Juni 1815, nachdem er in drei aufeinander folgenden Tagen in dem Treffen von Quatrebras, bei dem niederschlagenden Rückzuge am 17. und mehrere Stunden in der Schlacht von Waterloo bis zu ihrem Höhepunkte tadellos mitgefochten hatte, mit den Worten zu seinem nahestehenden Offizier: "Herr Lieutenant, nun kann ich's nicht mehr aushalten" aus der Schlachtlinie davon lief. Wer durch Uebermüdung oder durch übertriebene geistige Aufregung abgespannt ist, fühlt sich zu Heldenthaten wenig aufgelegt.
Skizziren wir das Bild eines mißlingenden Angriffs, so besteht dasselbe in Folgendem: Sobald die Eindrücke durch das feindliche Feuer auf das vorrückende Bataillon zu stark werden. so fangen die Schritte, die bis dahin dreist waren, an, sich zu verkürzen; eine gewisse Zaghaftigkeit bemächtigt sich der Tete, die wohl anfangs noch durch die hinteren Züge, welche nicht so sehr vom Feuer leiden, fortgeschoben wird, bis sie endlich ganz stehen bleibt. Durch ein ermuthigendes Wort des Kommandeurs ist mancher Angriff noch wieder in Gang gekommen; beginnen aber die Leute erst ohne Kommando zu feuern, dann ist alle Hoffnung verloren. Selbst bei gut disciplinirten Truppen ist dieses nicht befohlene Feuer eine gewöhnliche Erscheinung; der Mann kann nicht länger, ohne sich zu rächen, seine Kameraden neben sich fallen sehen, und greift instinktmäßig zu dem Gegenmittel, durch sein Feuer zu antworten. Das Beispiel steckt sofort an; es entsteht ein Plackerfeuer, und damit kommt die Kolonne unwiderruflich zum Stehen; natürlich in einer wirksamen Schußweite, so daß die Verluste augenblicklich groß werden. Nach wenigen Minuten dreht die Kolonne ohne Kommando um und läuft - auch die beste Truppe - so schnell die Füße sie tragen wollen zurück. Wenn dann ein Bericht sagt: das Bataillon mußte weichen und zog sich in voller Ordnung zurück - so ist darunter nur zu verstehen, daß es, sobald es aus dem wirksamen Feuer gelaufen war, sich auf das Zurufen der Offiziere sammelte und wieder ordnete. Schlechte Truppen sind in solchem Falle überhaupt nur theilweise, und gewöhnlich viel weiter rückwärts, erst wieder zusammen zu bringen.
Das Mittelglied zwischen beiden Extremen bilden die halb gelingenden Angriffe, welche bis auf wirksame Schußweite herandringen, und dann in ein stehendes Feuergefecht ausarten, durch welches beide Truppen meist aufgelöst werden. In dieser Weise kam, genau einen Monat nach dem Gefecht an der Göhrde, in der Schlacht bei Möckern die Brigade S t e i n m e t z zugleich mit der ihr gegenüber stehenden Infanterie in einen Zustand, in welchem beide Theile unfähig wurden, eine Entscheidung zu geben; so daß erst die Husaren des Majors v. S o h r im Stande waren, die Wagschale auf eine Seite zu neigen.
Verhindern vorzeitigen Feuerns. (Seite 115)
Der General L y o n hatte [im Gefecht an der Göhrde am 16. September 1813] seine Infanterie beim Angriff nicht laden lassen. Dadurch wird wenigstens die Klippe vermieden, daß die Truppen durch unwillkürliches Feuern im Vorrücken aufgehalten werden; doch zeigte sich auch diese Maßregel nicht ausreichend, das Bataillon L a n g r e h r blieb dennoch halten und feuerte. Gewiß aber wird eine Truppe, die erst die Gewehre laden muß, weniger leicht verführt, in diesen Fehler zu fallen, als wenn ein leichter Druck des Zeigefingers allein genügt, der beklemmten Brust das erleichternde Gefühl der Rache am Feinde zu verschaffen. Es ist dieses dasselbe Gefühl, durch das unwillkürlich der attackirende Reiter seinem Finger Freiheit läßt, die schnelle Gangart des Pferdes zu verkürzen, sobald sein Muth unter das Niveau der wachsenden Gefahr sinkt.
Tirailleurgefechte. (Anmerkung zu Seite 169)
Wenn Schützenlinien einander gegenüberstehen, die sich in Front beschießen, und weder ein gerader Angriff noch eine Flankirung eintritt, so pflegt der endliche Verlauf der zu sein, daß ein Theil die Verluste nicht länger erträgt und anscheinend freiwillig das Feld räumt. Durch jeden Verwundeten mehr, durch jede vorbeizischende Kugel - denn auch diese macht ihren Eindruck -wird ein Stück des mitgebrachten Muthes abgebröckelt, bis er endlich zu weiterem Widerstand nicht ausreicht. Derjenige, dem zuerst das Herz matt wird, schleicht sich - vielleicht sich selbst unbewußt - von dannen. Die Zahl dieser Verschwindenden wird immer größer; anfangs halten die Offiziere noch auf; aber bald finden sie, daß trotz alles Bemühens die Linie dünner geworden ist; einzelnen Offizieren drängt sich die Ansicht oder mehr das Gefühl auf, daß ein längerer Widerstand nicht möglich, sie folgen ihren Leuten, und die letzten Braven gehen nachdem ihre Zahl so gering, daß ihr längeres Bleiben unnütz wird. Es wäre eine Täuschung, wenn man dieses Räumen der Stellung für ein freiwilliges halten wollte; der moralische Zwang, der im feindlichen Feuer liegt, ist das Motiv dazu. Die letzten paar Leute werden zwar gewöhnlich durch einen feindlichen Anlauf zurückgetragen, der durch ihren schwachen Widerstand nicht länger abgehalten wird; aber dieser Angriff ist nicht die eigentliche Ursache für den Verlust der Stellung.
Bei einem solchen Verlauf des Tirailleur-Gefechts, in welchem der Feind aus seiner Stellung heraus geschossen wird, hat der angreifende Theil natürlich das Interesse, durch Aufdrängen sein Feuer entscheidender zu machen; doch bewirkt ein einfacher Befehl hier in der Regel nicht, was der anordnende Offizier zu erreichen wünscht. Sobald man in solche Nähe kommt, daß die Wirkung des feindlichen Feuers eine gewisse Intensität hat, so bleiben die einzelnen Tirailleurs von selbst halten und suchen Deckung; der moralische Eindruck gewinnt die Oberhand über das Ansehen des Befehls. Die Aufforderung des Hornsignals zum Avanciren wirkt zwar ermunternd, und giebt dem einzelnen Tirailleur die beruhigende Zuversicht, daß die ganze Linie, die er nicht übersehen kann, mit ihm gemeinsam vorwärts strebt; aber eine unmittelbare Befolgung des Signals ist nicht zu erwarten. Statt des einfachen ungedeckten Vorrückens giebt es während des Gefechtes indessen meistens Gelegenheit, die Tirailleur-Linie dem Feinde mit geringerem Verlust zu nähern. Das Terrain pflegt stellenweise Schutzmittel zu bieten, hinter denen die Leute sich einzeln oder in Gruppen gedeckt vorschleichen können, so daß nach Verlauf einiger Zeit die ganze Linie über ihre erste Aufstellung vorgeschoben ist. Bietet sich bei diesem Vorschleichen die Gelegenheit, dem Gegner in die Flanke zu kommen, so zwingt das enfilirende Feuer seine Linie sofort zum Weichen; denn es gehört eine seltene Standhaftigkeit dazu, um solche Umfassung zeitweise zu ertragen.
Das schnellste Mittel, den Feind aus seiner Stellung zu vertreiben, ist, daß die Linie in geradem Anlauf auf ihn eindringt, einen Tirailleur-Angriff macht wie die Bajonett-Attacken geschlossener Abtheilungen. Ist es indessen schon beim geschlossenen Gefecht der Infanterie eine Seltenheit, die blanke Waffe in wirklicher Anwendung zu sehen, so kommt es beim zerstreuten Kampf fast nie, und auch dann nur vereinzelt, vor. Man imponirt dem Gegner durch den Muth, den man im offenen Angriff zur Schau trägt; das Hurrah-Geschrei, wie das Getöse, das man durch Horn- und Trommel-Signale hervorzubringen sucht, vermehren den Eindruck auf Sinne und Phantasie des Gegners, das Gefühl wird mächtiger als die Ueberlegung, und er weicht lediglich aus Besorgnis vor dem Schaden, der ihm erwachsen könnte. Das menschliche Gefühl der Befangenheit läßt sich vom Menschen nicht trennen, und in zerstreuten Truppen kann nicht wie in geschlossenen die Disciplin sie paralysiren. - Zum Gelingen eines Tirailleur-Anlaufs gehört aber ein entschiedenes Uebergewicht an moralischer Kraft; wo dieses nicht ausreicht, tritt alsobald der erstbeschriebene Fall ein: die Leute bleiben halten und suchen Deckung. Die feststehende feindliche Linie kann bei ernstem Willen durch ihr Feuer solchen Anlauf vereiteln, und man findet ihn verhältnismäßig nicht oft. Ein längere Zeit im Feuer befindlicher Schütze macht sich auch so sehr mit dem Gedanken der Deckung, die er etwa gefunden hat, vertraut, daß es schwer ist ihn zum Verlassen des Schutzes und weiteren Angriff zu bewegen. Abtheilungen, die aus dem Soutien frisch vorgezogen werden, sind weniger leicht durch dargebotenen Schutz zu verführen, und bieten bei solcher Lage das Mittel, einen Anlauf zur Ausführung zu bringen. Den kräftigsten Impuls für die Tirailleurs giebt aber eine Attacke der geschlossenen Abtheilungen. Sind diese auch nicht durch die Umstände begünstigt und haben wenig Aussicht, den Stoß völlig durchzuführen, so reissen sie doch die eigenen Schützen mit sich vorwärts und imponiren den feindlichen. Freilich aber ist zu einem partiellen Erfolge nothwendig, daß die Tirailleurs bis an einen nächsten Abschnitt vorgetrieben werden; sonst pflegt eine verfehlte Attacke der Kolonne so ungünstigen Eindruck auf die begleitenden Schützen zu machen, daß sie, statt auf dem erreichten Punkt halten zu bleiben, sich ohne physischen Grund durch den Rückzug mit fortreissen lassen.
Von den drei verschiedenen Weisen, in welchen sich nach obigen Darlegungen die Wirkung des Tirailleur-Gefechts äußert – dem Herauswerfen des Gegners aus seiner Stellung durch geraden Anlauf; dem Herausmanoeuvriren durch Heranschleichen oder Abgewinnen der Flanken; und dem Herausschießen - thut nur die letzte Art dem Feinde unmittelbaren Schaden, und dennoch zeigt sie sich langwieriger und weniger erfolgreich, als die beiden ersteren durch ihre stärkeren moralischen Eindrücke. Alle drei Arten pflegen sich indessen miteinander zu kombiniren; und da die Tirailleurs des Theils, dessen allgemeine Lage defensiv ist, in wenigen Fällen auf die Dauer an ihrem Platz sich behaupten können, ohne ebenfalls aktiv zu verfahren, so entstehen die lange dauernden schwankenden Schützengefechte, denen das Eingreifen geschlossener Kräfte hier und da eine Lösung zu geben sucht.
Kavallerieattacken. (Anmerkung zu Seite 96)
Es geschieht nicht, daß die geschlossene Kavallerie in vollem Jagen die Pferde in die Bajonette treibt, sondern dicht davor erfolgt ein augenblicklicher Halt; ein jeder Reiter ersieht rasch seinen Vortheil, indem er einen Gegner zu verwunden sucht, irgend eine kleine Lücke, eine kleine Unordnung benutzt, auch wohl einen Stich für sein Pferd nicht scheut, um einzudringen. Gelingt dieses Mehreren, so ist der Sieg in den meisten Fällen entschieden; denn es folgt sogleich die Masse, und die Pferde werfen die Glieder auseinander. Ob ein solcher Angriff mehr oder weniger Leute kostet, hängt von Zufälligkeiten ab, namentlich davon, auf welche Entfernung die Infanterie ihr Feuer abgiebt; Salven machen auf Kavallerie den meisten Eindruck. - Eine verfehlte Attacke geht gewöhnlich nicht bis an die Bajonette; das Tempo verkürzt sich vorher, einzelne Leute halten ihre Pferde zurück, es entstehen viele Glieder, bald Verwirrung und endlich ein Schwarm, der sich nach rückwärts wendet. Solche Angriffe kosten stets viele Leute, da sie dem Feuer länger ausgesetzt bleiben müssen.

In dem 1833 in Danzig erschienenen Buch Infanterie gegen feindliche Kavallerie beschreibt der Autor, Major Christian von Fischer (ab 1846: von Fischer-Treuenfeld) auf S. 54, weshalb eine von Kavallerie angegriffene Infanterie nicht auf kurze Entfernung feuern sollte:

[Verhalten verwundeter Pferde.]
Aus den Beobachtungen Anderer und meiner eigenen, beim Erstechen oder Erschießen von Pferden, und zwar von vorne, hat sich das Resultat ergeben, daß jedes Pferd, welches durch einen Stich oder Schuß auch zugleich den wirklichen Todesstreich erhält, einen oder mehrere Schritt vorwärts tritt, sein herausströmendes Blut besieht, vermöge seiner Körper-Construktion nach vorne und dann seitwärts umfällt, und, nachdem es mit den Füßen einigemale um sich geschlagen, verendet. War das Pferd zwar tödlich verwundet, jedoch nicht gleich im ersten Augenblick gelähmt, so stürzte es sich, vom Schmerz getrieben, bei gänzlichem Verlust seines natürlichen Instinkts, der ihn die Gefahr vermeiden lehrt, unaufhaltsam, mit der Vehemenz seiner letzten Kraft, vorwärts, selbst ins Feuer, Wasser oder in einen Abgrund.
Blessirte Pferde, wenn ihre Wunde besonders schmerzhaft, jedoch nicht tödlich ist, sind Durchgängern gleich, die nur da Halt machen, wo ihr Instinkt sie die Todesgefahr wittern läßt.
Aus diesen Beobachtungen (welche von Officieren, die das Glück oder Unglück gehabt, beim Sprengen eines Quarree's durch Kavallerie zugegen zu sein, bestätiget werden) – geht nun hervor, daß die, in großer Nahe des Quarree's, stark blessirten, oder tödlich getroffenen Pferde der feindlichen Kavallerie, die eigentlichen Lückenbrecher sind.

Der französische General Paul Thiébault veröffentlichte im Jahr 1813 in Paris sein Manuel général du service des états-majors généraux et divisionnaires dans les armés (Allgemeines Handbuch für den Dienst der General- und Divisions-Stäbe bei den Armeen). Dort findet sich auf S. 420 f. die folgende Beobachtung:

[Handgemenge.]
Es gibt einen Sachverhalt, der meiner Meinung nach hilft, gut einschätzen zu können, was man im allgemeinen von einem Truppenteil der Kavallerie erwarten kann, und wie wertvoll gute Kavallerie-Offiziere sind: Unter hundert zufällig ausgewählten Männern gibt es im allgemeinen nur fünfundzwanzig oder dreißig, die ihre Pferde wirklich beherrschen  [Anmerkung: Die Verlegenheit, in die ein schlechter Reiter bei der Lenkung seines Pferdes kommt, oder der Effekt, den ein schlechtes Pferd auf den hat, der es reitet, paralysieren den Eifer und den Mut sehr vieler Reiter.], ihre Waffen gut führen, von den Umständen mitgerissen ihre Rolle inmitten der Zufälle des Krieges gefunden haben, und von der Begeisterung der Tapfern beseelt freiheraus angreifen, und sich nicht damit aufhalten zu parieren, sondern damit beschäftigt sind, einzuhauen. Diese Männer sind es, die die Gefechte entscheiden. Nach ihnen findet man, vielleicht in gleicher Stärke, eine zweite Klasse Männer, die, wenn es ohne Risiko für sie geschehen kann, sogar einige Säbelhiebe austeilen, die aber vor allem versuchen, die Hiebe zu parieren, von denen sie bedroht werden. Schließlich die übrigen, durch sich selbst und ihre Pferde behindert, und stets zum Rückzug geneigt, die nur an ihre Erhaltung denken und kaum in der Lage sind, einige Hiebe zu parieren, und nur darauf trachten, allen Gefahren zu entkommen, welche ihnen durch ihre Schwäche noch vergrößert werden.
[Der französische Text lautet: Il existe un fait qui, selon moi, est propre à faire bien évaluer ce que l'on peut attendre en général d'un corps de cavalerie, et combien de bons officiers de cavalerie sont précieux: sur cent hommes pris au hasard, il n'y en a en général que vingt-cinq ou trente qui, maitres de leurs chevaux (1), maniant bien leurs armes, électrisés, par les circonstances, ayant pris leur parti sur les chances de la guerre, et animés de l'ardeur des braves, chargent franchement, et ne s'amusent pas à parer, mais ne sont occupés qu'à frapper; ces hommes sont ceux qui décident les affaires. Après eux, on trouve à-peu-près dans un nombre égal une seconde classe d'hommes qui, lorsqu'ils le peuvent sans risque, donnent de même quelques coups de sabre; mais qui, avant tout, cherchent à parer ceux qui les menacent: enfin le restant, embarrassés d'eux et de leurs chevaux, et toujours disposés à la retraite, ne songe qu'à son salut, est à peine en état de parer quelques coups, et ne guette que le moment d'échapper à tous les risques que leur foiblesse leur exagère. — (1) L'embarras qu’un mauvais cavalier éprouve à conduire son cheval, ou l'effet qu'un mauvais cheval fait sur celui qui le monte, paralysent le zèle et le courage de beaucoup de cavaliers.]

Interessanterweise beschrieb schon Saxo Grammaticus um das Jahr 1200 in seinem Werk Gesta danorum (Taten der Dänen) denselben Sachverhalt ganz ähnlich (4.3.7-11):

Als nun die Sieger, wie es nach einem Treffen gewöhnlich geschieht, um zu ruhen die Waffen ablegten und verschiedene Gespräche unter einander führten, sagte Keto, der Statthalter von Sleswik, es wundere ihn sehr, daß Athislus davon gekommen sei, zumal da er zuerst Aller Vorkämpfer, bei der Flucht aber der letzte gewesen sei; dazu sei Niemand unter den Feinden so eifrig gewesen, die Dänen niederzuhauen. Wermundus erwiderte ihm darauf, er müsse wissen, daß es vier Gattungen Kämpfer gebe:
Die erste bestehe aus denen, welche in der Tapferkeit Maß halten, auf die gegen sie Kämpfenden wacker einschlagen, aber sich schämen, die flüchtigen zu bedrängen. Das seien diejenigen, welche durch unausgesetzte Führung der Waffen ihrer Tapferkeit sicher geworden seien und ihren Ruhm deshalb nicht in der Besiegten Flucht, sondern in der zu Besiegenden Bezwingung suchten.
Zur anderen Gattung seien zu zählen alle, die zwar mutig und stark seien, aber, keine Schonung kennend, mit gleicher Wut den Rücken und die Brust der Feinde bedrängen. Das seien meist Jünglinge, welche ihre Hitze fortreiße, die Lehrjahre des Kriegerstandes durch wilden Kampf zu verherrlichen, und die eben so sehr die Glut der Jugend als die Begierde nach Lob anfeuere, sich mit gleichem Eifer in gerechten und ungerechten Kampf zu stürzen.
Die dritte Gattung enthalte Krieger, die zwischen Furcht und Scham hin und her schwanken. Ihr Vordringen hindere die Furcht, ihr Zurückweichen die Scham. Es seien oft Männer von hoher Abkunft, nur durch eitlen Stolz sich auszeichnend; sie stärken die Schlachtreihe durch Zahl, aber nicht durch Kraft; sie werfen auf den Feind wohl Schatten, aber nicht Speere. In der Schar der Krieger kommen sie nur durch den Anblick ihrer Leiber in Betracht. Das seien die Herren großer Güter, berühmter durch Herkunft als durch Tatkraft. Die Liebe zum Leben, gestützt auf Reichtum, bestimme sie, mehr dem Drange der Zagheit als dem des Adels nachzugeben.
Die vierte Gattung vereinige in sich alle, welche nur scheinbar, nicht in Wahrheit in den Krieg ziehen: sie treten immer in die hinterste Reihe der Genossen, seien die ersten zur Flucht, die letzten zum Kampfe. Das Anzeichen unzweifelhafter Furcht enthüllt ihre Schwachheit; immer suchen sie sich hinwegzuschleichen, oder zotteln hinter den Rücken der Kämpfenden mit trägen, furchtsamen Schritten einher.
So erkläre es sich, wie der König [Athislus] entkommen konnte. Die ersten hätten ihn aus Grundsatz nicht verfolgt; die anderen hätten der Gelegenheit, ihn zu töten, ermangelt; die dritten hätten vielleicht zwar ihn töten können, aber nicht den Mut zum Angriff gehabt; die vierten endlich hätten auf jeden Fall niemals gewagt, ihm in die Augen zu blicken. So löste Wermund die Verwunderung Ketos und gab den richtigen Grund an, weshalb der König sich gerettet habe.


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