Der Marsch der 22e demi-brigade de ligne von Jena nach Leipzig, vom 15. bis zum 19. Oktober 2001.


Der erste Tag.

Endlich Ruh.
Sans-Souci, Délicat, Champagne beim Aufbruch.

[Leider war die Zahl der Mitmarschierer nach und nach immer mehr geschrumpft, die 9e demi-brigade légère war ganz ausgefallen, und auch die 22e demi-brigade de ligne bestand nurmehr aus Champagne, Délicat und Sans-Souci, denen sich ab Weissenfels noch Rôtisseur anschließen konnte. Sans-Souci]

Am Montag morgen gegen ca. 9.00 Uhr machten wir uns auf den Weg, dabei wurden wir noch mit frisch zubereitetem Kaffee bedacht und Huldigungen, die sich etwa so anhörten: "Super Jungs, Klasse", "so einen Marsch wollten wir auch schon mal machen", "wenn ich frei hätte, würde ich mitkommen", "wenn ich jünger wäre, würde ich mitkommen", wahrscheinlich dachten sich aber alle nur "mein Gott, sind die doof, kein vernünftiger Mensch würde auf eine solche Idee kommen."

Zu allem überfluss (trotzdem Danke) schenkte man uns auch noch eine Salami, das war dann unsere dritte. [Und wir haben sie alle aufgegessen. Was Hunger aus Menschen machen kann. Sans-Souci]

Wir machten uns aber nichtsdestotrotz auf den Weg. Ich hatte mich in meinem jugendlichen Leichtsinn freiwillig gemeldet, die Gamelle zu tragen, so daß ich den Beinamen Citoyen Gamelle bekam [der dann mit der Gamelle zusammen jeden Tag auf einen anderen von uns überging. Sans-Souci]. Das Gepäck war noch leicht, es gab noch keinerlei Problem mit den Füßen, das Wetter war schön, die Vögel zwitscherten, kurz gesagt, der Marsch nach Leipzig erschien uns als das leichteste Unterfangen, das es gibt.

Bald aber gab es das erste Problem, ich hatte beschlossen, in Krippendorf (ca. 1 km entfernt) an Entkräftung zu sterben. Doch dieses Problem löste unser göttlicher Caporal mit Leichtigkeit, wir umgingen Krippendorf einfach. Dieselbe Taktik wand er auch noch am Abend an, indem wir Dornburg umgingen, in welchem Champagne sterben wollte.

Ansonsten lief alles wie geschmiert, bis wir befanden, das der Tornister unseres Caporals zu leicht wäre und wir ihn einfach mit einem Hammer beschwerten, den wir unterwegs gefunden hatten. [Nicht, was mancher der geneigten Leser nun denken mag. Der Hammer lag tatsächlich einsam und verlassen in einer Ackerfurche, mitten auf einem weiten Feld, das wirdurchquerten. Sans-Souci] Wie sich später noch zeigen wird, sollte uns der Hammer noch von großem Nutzen sein.

Als wir eine Mittagsrast einlegten, freute sich darüber am meisten Champagne, da wir uns dort unsere letzte Flasche Wein schmecken ließen und er somit seinen Tornister erleichtern konnte.

Nach was weiß ich wie viel Stunden stießen wir auf ein bewohntes Dorf, in welchem wir spontan beschlossen, uns in dem örtlichen Restaurant einen Kaffee schmecken zu lassen.

Kurze Rede langer Sinn, durch unser Aussehen und durch die freundliche Art unseres Caporals ging der Kaffee aufs Haus, und wir bekamen obendrein noch eine Karte und ein Glas Wurst geschenkt.

[Bis dahin hatten wir uns anhand einer DIN A4 Deutschlandkarte, dem Sonnenstand, unserer von der Göttin der Vernunft beseelten Intuition und den sporadischen Auskünften uns begegnender Bauern orientiert. Sans-Souci]

Anhand der Karte und der Uhr, die sich in der Kneipe befand, stellten wir überrascht fest, daß wir entfernungsmäßig wie auch richtungstechnisch sehr gut lagen, und marschierten frisch gestärkt und frohen Mutes weiter.

Wir liefen jetzt querfeldein und konnten so die Natur in vollen Zügen genießen. Alles fing an mit sehr vielen Spinnfäden, die überall herumschwebten, und ich glaube, sie waren fast so dick wie Taue. Unser Caporal unterhielt uns dazu mit Geschichten über Killerspinnen, für die wohl diese Gegend berühmt und berüchtigt wäre, und die gerne ahnungslose Wanderer überfielen, besonders solche mit schwerem Gepäck. Als das überstanden war, machten wir eine kurze Verschnaufpause und beobachteten Feldmäuse. Glück für die Mäuse, daß das unser erster Tag und wir noch nicht ausgehungert waren. [Später sahen wir nie mehr Feldmäuse. Vielleicht riechen die, wenn ein Mensch Hunger hat. Sans-Souci] Dann schritten wir an einem Feld entlang, an dem gerade frische Gülle versprüht wurde, ein sehr einprägsamer Duft. Und die ganze Zeit wurden wir von einem Schwarm Fliegen begleitet.

Und so liefen wir und liefen und liefen, mit einer kurzen Pause, bei der Champagne den Beinamen Julius erhielt. [Dieser Wandertitel, inspiriert durch Asterix und die Normannen !, ging in der Folge immer auf denjenigen über, der als letzter aufstand. Sans-Souci]

Wir kamen durch ein Dorf, in dem uns freundlicherweise unsere Wasserflaschen wieder aufgefüllt wurden [Mit WASSER ! diese Geizhälse ! Sans-Souci], wobei ich leider feststellen mußte, daß sich mein Korken nun in der Flasche befand.

Und wir liefen weiter, immer weiter über Feld- und Waldwege und auch über Straßen und Felder und wir liefen und liefen, und es wurde langsam dunkel und wir wußten immer noch nicht, wo wir nachts schlafen sollten.

Da entdeckten wir in der Ferne Camburg mit zugehöriger Burg und beschlossen, standesgemäß auf der Burg zu übernachten.

Leider streckte sich der Weg bis zur Burg noch erheblich und es begann sich schon allgemeine Erschöpfung breit zu machen, zumindest bei mir und Champagne, und meine Füße meldeten sich auch schon sehr schmerzvoll.

Doch irgendwie erreichten wir dann bei völliger Dunkelheit Camburg und somit den Fuß der Burg und wir erklommen (ich zumindest) mit letzter Kraft den Berg.

Und dann waren wir da. In majestätischer Schönheit erhob sich vor unseren Augen die Burg, angestrahlt von Scheinwerfen und damit in ein wunderschönes Licht getaucht, sah ich schon schöne mollig warme Zimmer mit Federbetten und Mägden, die mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen würden. So durchschritten wir dann voller Erwartungen und Hoffnung auf ein warmes Nachtlager den Eingang zur Burg.

Oder besser gesagt, wir wollten den Eingang zur Burg durchschreiten, denn der war durch ein Tor verschlossen, welches natürlich verriegelt war ("Baustelle. Eltern haften für ihre Kinder !"), so daß die Idee, in der Burg zu übernachten, wie eine Seifenblase zerstob. Meine Umhüllung der Seifenblase schien aber etwas stärker zu sein, wie jetzt wieder runter, war ich nicht gerade mit letzter Kraft erst heraufgestiegen, wo waren denn die Mägde mit kühlem Wein und warmen Federbett, und warum schmerzten meine Füße bei jedem Schritt ??? Mit diesen Fragen war mein Gehirn beschäftigt, als ich völlig apathisch meinem Caporal und meinem Appointé hinterherlief. [Was stets eine weise Entscheidung ist. Sans-Souci & Champagne]

Das nächste, was ich dann wieder bewußt wahrgenommen habe, war Wärme, Sitzen, warum habe ich keinen Tornister auf, und wo ist meine Muskete ??? Ich glaubte es wirklich kaum, da benetzte doch tatsächlich Bier meine Lippen. In dieser Kneipe blieben wir dann bis ca. 23 Uhr, es wurde geschlossen. Leider mussten wir hier alles selber bezahlen [Wofür wir dankbar die letzten Reste der großzügigen Singener Spende des Grenadiers Baigneur für Getränke aufwandten. Sans-Souci], dafür erhielten wir aber Hinweise auf eine geheimnisvolle Scheune, die sich wohl am Stadtrand von Camburg befinden sollte. Es wurde aber auch erzählt, daß sie eventuell abgebrannt und danach abgerissen wurde, irgendwie wußten es die Einheimischen halt auch nicht so genau, wahrscheinlich verlassen sie Camburg nur sehr, sehr selten.

Wir verließen halt die Kneipe und machten uns auf den Weg Richtung Stadtausgang, auf der Suche nach der Scheune.

Die erste Nacht.

Die Scheune gab es natürlich nicht und so beschlossen wir kurzerhand, die Straße zu verlassen und uns dort unser Nachtlager einzurichten. Das muß man sich folgendermaßen vorstellen. Was wir gefunden hatten, war eine Art Miniwäldchen mit Gras und (wie wir leider erst feststellten, als wir schon drauf lagen) Brennesseln als Boden. Da es stockdunkel war, hatten wir eh keine große Möglichkeit, unser Lager auszuwählen, so warfen wir halt unsere Decken einfach auf den Boden, rollten uns mehr oder schlecht darin ein und versuchten zu schlafen. Was nur mehr schlecht als recht gelang. Die erste Hälfte der Nacht wurde von lautem kräftigen Hundegebell begleitet, welches sonstwo herkam, die zweite Hälfte war dann schon empfindlich kalt, und gegen Morgen wurde die gesamte Wiese von Nebel und Tau überzogen, was man auch nicht gerade angenehm nennen konnte.

Es war jedenfalls mehr ein dahindämmern in Erwartung des Morgens oder des Todes, auf jeden Fall habe ich nur gehofft, daß eines von beiden möglichst schnell eintreten sollte.

Gott sei Dank wurde es aber hell und der Tod verflüchtigte sich.

[Das Schlimmste am Aufstehen war die überwindung, sich aus der wenigstens die letzten Lebensfunken noch vor dem Vereisen bewahrenden Decke herauszuschälen und den Körper schutzlos der noch kälteren Morgenluft preiszugeben. Julius Sans-Souci]

Der zweite Tag.

Wir beschlossen, nachdem wir unsere Sachen kurz gerichtet hatten, uns nicht länger an diesem trostlosen Ort aufzuhalten, sondern so schnell wie möglich weiter zu laufen, auch in der Hoffnung, dadurch körpereigene Wärme zu erzeugen. Was auch gelang, so daß uns nicht mehr kalt war, auch meine Füße waren noch in einem als gut zu bezeichnenden Zustand. Das einzige, was fehlte, war ein Kaffee oder etwas ähnliches. In dem Moment, als ich das dachte, bogen wir um eine Kurve, und ich erblickte in der Ferne etwas, das ich für eine Fata Morgana hielt, da aber die anderen es auch erblickten, konnte es doch keine sein, oder ? Auf jeden Fall steuerten alle, ohne daß jemand etwas sagen mußte zielstrebig auf den gerade öffnenden Imbißstand zu. Dort genehmigten wir uns erst mal einen Kaffee, und da wir vor allem unser Caporal während des Trinkens bereitwillig die Neugier des Imbißbudenbesitzers befriedigte, ging das Heißgetränk aufs Haus. Mit halbwegs vernünftigem Geschmack im Mund und innerlich etwas aufgewärmt machten wir uns auf den weiteren Weg. Erwähnt werden sollte vielleicht noch, daß an dieser Bude die Worte "Prießnitz" und "Brandfest" das erste mal fielen, welchen wir dort noch nicht allzu große Bedeutung beimaßen, die aber noch heute in unserer Gegenwart nur mehr leise ausgesprochen werden dürfen.

[Im Jahre 1806 war ein französischer Geldtransport von Bauern überfallen und geplündert worden. Die übeltäter kamen auseinem Nachbardorf von Priesnitz (behaupten die Priesnitzer), doch fälschlicherweise (behaupten die Priesnitzer) wurden Einwohner von Priesnitz dafür verantwortlich gemacht. Zur Strafe wurde das Dorf niedergebrannt, die zu Unrecht (behaupten die Priesnitzer) angeklagten übeltäter wurden zum Tode verurteilt, doch auf die Bitten des Dorfpriesters vom menschenfreundlichen französischen Kommandeur des Erschießungspelotons begnadigt. Das geraubte Geld fand sich nie wieder, und Priesnitz wurde viel schöner wiederaufgebaut, als es jemals gewesen war. Seitdem feiert das Dorf jedes Jahr sein Brandfest. Sans-Souci]

Und so liefen wir wieder und liefen wer weiß schon wie lang, um unserem immer noch so fernen Ziel Leipzig näher zu kommen, diesmal ausschließlich Straßen, da es leider keine andere Möglichkeit gab. Wir unterhielten uns über dieses und jenes, die Sonne schien, ein wunderschöner Tag kündigte sich an, und wir waren der Natur so nah, ich glaube schöner geht's ja kaum noch, doch da kündigte sich schon das große auf mich einstürzende Unheil (durch einen ganz, ganz leichten Schmerz im linken Fuß) an, doch lief ich getreu dem Motto "Was von allein kommt, geht auch wieder von allein." weiter, doch ich hatte auch keine andere Chance, als weiter zu laufen, und so nahm das Schicksal seinen Lauf.

Wie schon gesagt, liefen wir und liefen wir, durchwanderten mehrere Dörfer, und beschlossen dann, in einem Dorf eine Rast zu machen, eine Art Rundbank auf dem Dorfplatz lud uns dazu geradezu ein. Kurze Zeit später kam auch noch der fahrbare Bäcker, zu dem ich und Sans-Souci aufbrachen, um etwas frisches Brot und Brötchen zu erwerben, was wir auch taten, und so frühstückten wir erst mal ausgiebig. Im Anschluß hatte Champagne noch Appetit auf etwas Kuchen, welchen er dann auch holte, er bekam ihn kostenlos, wogegen Sans-Souci und ich die Brötchen hatten bezahlen müssen, wahrscheinlich sah er noch mitleiderregender aus als wir.

Zwischenzeitlich waren wir auch zur Dorfattraktion geworden, ein alter Mann hatte sich zu uns gesetzt und erzählte Geschichte über das Dorf, und wir erzählten ihm, was wir hier machen, das fand er so toll das er uns noch Geld zusteckte [ZWEI ganze Mark, wahrscheinlich seine halbe Tagesrente, ich war richtig gerührt ! Sans-Souci]. Die Leute waren allgemein sehr freundlich, nur leider vermutete hier, jeder, und zwar wirklich jeder, daß wir zum Brandfest nach Priesnitz wollten. Als wir sie dann über den wahren Zweck unser Kleidung aufgeklärt hatten, wollte uns jeder, und zwar wirklich jeder, davon überzeugen, doch einen Abstecher nach Priesnitz zu unternehmen und am Brandfest teilzunehmen. Besonders ein Autofahrer, der vorbeikam, versuchte, uns sehr penetrant davon zu überzeugen, nach Priesnitz zu laufen und am Brandfest teilzunehmen, er überreichte unserem Caporal sogar den Ablaufplan für den Festumzug (ich hoffe Sans-Souci hat ihn noch, so das wir ihn als Zeitzeugen mit an das Dokument anhängen können.) [Ich habe ihn leider in Leipzig zum Feueranzünden einem höheren Zweck zuführen müssen. Sans-Souci]

Auf jeden Fall war es uns zeittechnisch nicht möglich, an dem Brandfest teilzunehmen, so marschierten wir weiter und umgingen das gefährliche Priesnitz. [In dem wir sonst wahrscheinlich stundenlang geschlemmt und gepraßt hätten - nach Aussage eines Priesnitzers sollte dort für uns alles gratis sein. Sans-Souci]

Diesmal wichen wir wieder schnell von der Straße ab und benützten wieder Felder, Wiesen und Auen als Marschunterlage für unsere Füße, und wir liefen und liefen ... und mein linker Fuß schmerzte und schmerzte.

Irgendwann kamen wir in ein Dorf, in dem wir eine Gaststätte oder etwas ähnliches suchten, die fanden wir zwar nicht, dafür ein nette junge Frau, die wir nach einer Karte fragten [Alter Franzosentrick, klappt fast immer. Sans-Souci], sie bat uns daraufhin zu sich auf den Hof, suchte im Haus eine Karte und sagte ihrem Vater Bescheid, daß er mal kommen sollte. Nachdem sie die Karte gebracht hatte und ihr Vater sich zu uns gesetzt hatte, entwickelte sich wieder ein sehr nettes Gespräch, bis uns die Hausherrin spontan fragte, ob wir etwas essen möchten ["Würdet ihr etwas mitessen, wenn ich Bratkartoffeln mit Rührei machen würde?" - dieser Satz begeistert mich heute noch, wenn ich an ihn denke. Sans-Souci], was wir nicht ablehnten, und so bereitete sie uns eine sehr leckere Mahlzeit zu.

Während der Zubereitung und dem Essen unterhielt uns ihr Vater mit Geschichten aus seiner Armeezeit [in der Reichswehr. Sans-Souci] und mit Sachen, der er noch von seinem Vater wusste. Von hier aus auf jeden Fall noch mal ein herzliches Dankeschön für die freundliche Art und für Speis und Trank nach Heiligenkreuz.

Frisch gestärkt machten wir uns dann wieder auf den Weg. Anhand der Karte hatten wir festgestellt, daß wir uns auf Abwegen befanden und einen Umweg gelaufen waren. [Die am ersten Marschtag erhaltene Karte reichte nur bis Camburg, danach hatten wir uns wieder an Sonnenstand und innerer Uhr orientiert. Sans-Souci] Wir versuchten jetzt, auf schnellstmöglichem Wege nach Weißenfels zu gelangen, da dort eine feste, trockene und warme Unterkunft auf uns wartete. So schlugen wir also eine neue Richtung ein, stellten fest, daß wir uns immer noch in der Brandfestzone befanden, nur die Wortwahl hatte sich jetzt leicht geändert "Da müßt ihr aber hinmachen, wenn ihr es noch zu Umzug schaffen wollt !" oder "Nicht dort, hier lang geht's nach Priesnitz !" Unser Weg führte uns über sehr wechselnde Untergründe [Insgesamt konnten wir feststellen, daß es sich auf hartem Erdboden am besten marschiert, von fleißigen Bauern frisch gepflügte Felder sind zwar die ersten zwei Meter eine willkommene Abwechslung, doch danach beginnt man mit jedem Schritt die damaligen Ausschreitungen der Franzosen der Landbevölkerung gegenüber immer mehr zu verstehen. Sans-Souci], und wir liefen und liefen, und meine Schmerzen wurden mehr und mehr, so daß ich langsam zur Last wurde [Höchstens Dir selber ! Sans-Souci], da natürlich durch mich das Durchschnittsmarschtempo sank. Ich glaube ich formulierte schon Sätze wie etwa den folgenden "Lauft nur ruhig weiter und laßt mich hier liegen !" Taten sie aber nicht, sondern ich wurde immer wieder aufgefordert, doch weiter zu laufen. [In der 22e demi-brigade de ligne haben Simulanten keine Chance. Sans-Souci]

Irgenwann liefen wir mal wieder eine Straße entlang, als ein Auto hielt und der Fahrer (Hallo Raik !) uns fragte, wer wir wohl seien und was wir wohl machten. Unser Caporal gab wie immer bereitwillig und gern (was für die nahe und ferne Zukunft sich zu unserem Vorteil gestalten sollte) Auskunft.

Der Fahrer begnügte sich mit unseren Ausführungen und fuhr weiter, und wir marschierten weiter.

Einige Zeit später kam uns das gleiche Auto wieder entgegen, und Raik erzählte uns, daß er extra das Auto leergeräumt habe, um uns ein Stück zu fahren, welches unser Caporal aber kategorisch ablehnte [Wirst Du mir das jemals verzeihen, Délicat ? Sans-Souci], daraufhin lud er uns zu sich nach Hause zum Kaffee ein, er wohnte im nächsten Dorf, welches sich noch einige Kilometer entfernt in unserer Marschrichtung befand, diese Einladung hingegen nahm unser Caporal bereitwillig an, so erzählte uns Raik, wo er genau wohnt, und wir sagten ihm, wann er circa mit uns rechnen könnte.

[Auf der folgenden Strecke wäre es zum ersten und einzigen Male während unseres ganzen Marsches beinahe zu Streit gekommen. Einer von uns dreien wollte für ein paar Meter zur Mascherleichterung seine Muskete abgeben, und die anderen beiden hätten sich beinahe um die Ehre geprügelt, die Muskete tragen zu dürfen. Indem die beiden sich dann nachher beim Tragen abwechselten, konnte gerade eben noch Blutvergießen vermieden werden. Sans-Souci]

Einige Zeit später erreichten wir dann auch den Wohnort von Raik (Mertendorf) und fanden unter der angegebenen Adresse auch sein Haus. Dort setzten wir uns auf die Terrasse und uns wurde leckerer Kaffee gereicht. Dabei erzählte uns Raik, daß er am Vormittag im Fernsehen einen Bericht über unser Hobby gesehen hatte (sogar den Beitrag "Die Hobbykrieger" über die ENS, wie wir später herausfanden), und als er uns dann am Nachmittag traf, empfand er das als Wink des Schicksals, welchen er nicht ignorieren konnte.

Weiterhin erzählte er uns, daß er sich sowieso schon immer für die Napoleonische Zeit interessiert habe. Was lag da näher, als ihn gleich als neues Mitglied zu rekrutieren, was uns natürlich mit Leichtigkeit gelang. [Es war ein Offene-Tore-Einrennen, und so können wir seitdem mit Stolz den Grenadier Ours Vélu einen der Unseren nennen ! Sans-Souci] Inzwischen war es dunkel geworden, und seine Freundin traf zu Hause ein, die zwar ein wenig überrascht war, uns zu sehen, die nach kurzer Erklärung sich aber zu uns setzte.

So unterhielten wir uns dann noch eine Weile und wurden dann noch zum Abendbrot eingeladen.

Nach dem Abendbrot erneuerte Raik sein Angebot, uns zu fahren, was wir dann auch annahmen. Der Caporal natürlich nur uns zuliebe. [Und Délicat und Champagne natürlich nur mir zuliebe. Sans-Souci]

So fuhr uns dann Raik gegen 21 Uhr nach Weißenfels (ca. 10 km). Auch hier noch mal vielen Dank für alles.

Dort nahmen wir dann Quartier im Schloss zu Weißenfels, und zwar, um genau zu sein, im Vereinszimmer der Ostpreußischen Landwehr (meines Ex-Vereins), welche uns freundlicherweise für die übernachtung und für unseren anschließenden Ruhetag ihr Vereinszimmer zur Verfügung stellte.

Dort saßen wir noch eine Weile bei einem Bier zusammen. Hervorzuheben wäre jetzt noch, daß ich zum ersten mal nach 4 Tagen meine Schuhe wieder ausgezogen hatte.

Die zweite Nacht.

Hier gibt es nicht viel zu erzählen, man kann diese Nacht im Vergleich zur vorherigen einfach nur als göttlich bezeichnen. Nicht nur meine Schuhe, sondern auch meinen Rock und meine Weste zog ich aus. Ich schlief auf einem weichen Teppich in einem Raum mit Heizung, und man brauchte auch keine Angst vor wilden Tieren zu haben. So schliefen ich und Champagne, die Situation ausnutzend, ungefähr 12 Stunden, unser Caporal war natürlich schon eher wach, störte uns aber nicht in unserem Schönheitsschlaf.

Der dritte Tag.

Wir standen etwa gegen 13 Uhr auf. Dann ging ich mit Sans-Souci in die Stadt, um etwas zum Frühstück zu besorgen. Dabei trennten sich unsere Wege, Sans-Souci ging zum Bäcker und ich suchte den nächstgelegenen Tabakladen auf, um Tabak zu besorgen, für Raucher etwas Lebenswichtiges. Man kennt ja das alte Sprichwort: "Ohne Dampf kein Kampf." Als wir wieder im Schloß angekommen waren, machten wir uns über das Essen her und schlugen uns die Bäuche voll. Dann nutzten wir ausgiebig den Ruhetag, indem wir uns nicht mehr aus unserem Zimmer entfernten. Gelegentlich wurde auch gearbeitet, es wurde genäht und ich putzte die Muskete. [Außerdem rasierten und wuschen wir uns mit von Dragonette vorausschauenderweise mitgebrachten Utensilien. Sans-Souci]

Am Abend erhielten wir Besuch von Picot, Dragonette und Rôtisseur. Die beiden letztgenannten blieben auch über Nacht, und Rôtisseur schloß sich auf der letzten Etappe unseres Marsches uns an.

Die dritte Nacht.

ähnlich göttlich wie die letzte, nur leider schon gegen 8.00 Uhr beendet.

Der vierte Tag.

Gegen 9.00 Uhr setzten wir unseren Marsch fort, wie schon gesagt, nun zu viert. Kurz hinter Weißenfels machten wir die erste Rast. Wobei ich ungewollt eine neue Art des Pfeifenreinigens erfand. Ich sage nur soviel: das Geheimnis heißt, einfach nur ziehen und ziehen und ziehen. Und zwar solange, bis man einen ekligen Teerklumpen im Hals stecken hat.

Dann liefen wir weiter bis nach Rippach, wo wir im Gasthaus eine Rast machten. Ich hoffe, euch sagt allen der Ort Rippach etwas.

Hier war es sehr gemütlich und wir ließen uns eine Suppe schmecken. Leider betrat kurz danach der Ortschronist das Lokal und unterhielt uns mit Geschichten, die keinen so richtig interessierten, und außerdem mussten wir ja auch weiter. Irgendwie schafften wir es dann jedenfalls, uns aus den Klauen des netten, älteren aber auch sehr belastenden Herren zu befreien [der uns immerhin zum Dank für unsere Aufmerksamkeit eine Runde Bier spendiert hatte. Ein sauer verdientes Bier. Sans-Souci], und setzten unseren Weg in Richtung Starsiedel und Großgörschen fort. Unterwegs bekam ich einen Apfelflash, das heißt, ich aß Apfel um Apfel, aber die Apfelbäume am Straßenrand sahen einfach auch zu einladend aus. [überhaupt ist der Oktober die ideale Zeit für einen Marsch. Fruchtbehangene Apfelbäume allerorten, die Felder abgeerntet, so daß man querfeldein marschieren kann, ohne von Schrotschüssen belästigt zu werden, hier und da finden sich noch ein paar Rüben oder andere interessante Pflanzen, die man fast alle essen kann. Man spaziert quasi die ganze Zeit auf einem gedeckten Tisch entlang. Sans-Souci] Leider kamen hier auch die Schmerzen in meinem Fuß wieder zurück, und je stärker sie wurden, umso langsamer wurde auch mein Marschtempo, aber noch hielt sich alles in Grenzen.

In Großgörschen angekommen, machten wir Rast am Adlerdenkmal und steuerten danach die Dorfkneipe an. Einige von euch kennen sie vielleicht aus vergangenen Frühlingstagen.

Dort tranken wir ein Bier und jeder bekam noch eins mit auf den Marsch. [Alles auf Kosten des spendablen Hauses ! Sans-Souci]

Von hier aus marschierten wir weiter Richtung Kitzen, ein Ort, der es eigentlich verdient hat, jedes Jahr groß gefeiert zu werden.

Hinter Kitzen machten wir erneut Rast, bei der Champagne auf die Idee kam, im Garten von Bekannten von ihm zu übernachten, welche auch angenommen wurde, und so machten wir uns auf den Weg nach Leipzig.

Nach vielen Kilometern und endlosen Asphaltstraßen erreichten wir auch das Ortseingansschild von Leipzig, es war inzwischen Nacht und ich humpelte, da ich den linken Fuß nur noch mit unmenschlichen Schmerzen aufsetzen konnte. Dadurch fiel ich natürlich zurück und die anderen mußten auf mich warten, aber es ließ sich halt nicht ändern. Irgendwann etwa 1 Stunde später erreichten wir dann auch das Haus der Bekannten von Champagne, dort wurde uns erst angeboten, auf der Terrasse des Hauses zu übernachten, später wurde uns allerdings die Garage zu Verfügung gestellt, allerdings mit offenem Tor, so das es eigentlich doch ein draußen schlafen war. Des weiteren wurden uns alte Schaumgummi-Matratzen gestellt, auf denen wir schlafen konnten, natürlich nahmen wir dieses Angebot auch gerne an. Nach Meinung unseres Caporals waren die Matratzen aber mit Stroh gefüllt und wir schliefen in einem Stall. Auf jeden Fall schliefen wir dann ein, egal ob nun auf Schaumgummi oder Stroh, nachts, wenn man schläft, ist das eh nicht mehr so super wichtig.

Auf jeden Fall von hier aus auch noch mal vielen Dank an (leider habe ich den Namen vergessen).

Die vierte Nacht.

Es war schweinekalt, aber dank der Garage zog es nur an den Füßen, und mit den Matratzen war es auszuhalten.

Mit Sonnenaufgang ging dann diese Nacht ohne Erfrierungen zu Ende.

Der fünfte Tag.

Das erste, was ich mit Entsetzen feststellte war mein dicker linker Fuß, der um einiges größer war als der rechte Fuß, also auf jeden Fall geschwollen. Mein Caporal beruhigte mich aber mit folgender Theorie: "Das sind Muskeln, die dir über Nacht gewachsen sind, damit du besser laufen kannst."

Dermaßen beruhigt, zog ich mich an und machte mich marschbereit. Wir wurden dann noch mit frisch gebrühten Kaffee verwöhnt und machten uns auf die letzte Etappe: auf den Weg ans Torhaus Dölitz.

Die Gott sei Dank nicht mehr allzu weit war, da mein Fuß nun schon von früh an schmerzte. [Muskelkater. Sans-Souci]

Unterwegs kamen wir auch am Cospudener See vorbei, der den Hintergrund für ein Foto bildete. [Im Nebel konnte man sogar ganz schwach die englische Flotte erkennen. Sans-Souci]

Dann ging es noch 3-4 km durch die Stadt, und wir erreichten so gegen 11 Uhr den Biwakplatz.

Nachtrag.

Dort verlebten wir dann ein ganz "normales" Biwak, im Rahmen eines HMV Biwaks.

Der Hammer, den unser Caporal mitgebracht hatte (hoffe, er hat ihn noch) [Hoffe, IHR habt ihn noch. Ich hab ihn bei euch in Leipzig gelassen. Sans-Souci], leistete beim Aufbau von Dragonettes Zelt gute Dienste.

Ich kämpfte am Sonnabend noch mutig für die Sache der Republik, welches auch ein paar Marschkilometer bedeuteten. Mußte mich dann aber doch Sonnabend abend den Schmerzen beugen und den einzigen vorhanden Arzt im Biwak aufsuchen (ein Lützower), der diagnostizierte eine Kapselentzündung und verordnete mir 2 Spritzen und viel, viel Ruhe. Welche ich mir dann auch ab Sonntag gönnte. Trotzdem zog sich das ganze ca. 6 Wochen hin, aber was tut man nicht alles für die Republik, und ich würde es wieder tun, irgendwann müßten sich doch meine Füße mal an so etwas gewöhnen. Unser Caporal verabschiedete sich Montag früh um 1.00 Uhr von uns, bestieg seinen Zug und murmelte noch etwas, was sich in etwa so anhörte "Meine Arbeitsstelle befindet sich nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt, so daß ich genau pünktlich auf der Arbeit sein müsste."

Alles im allem eine unvergeßliche Woche.

Endlich Ruh.
Sans-Souci, Délicat, Champagne, Rôtisseur und ihre Füße, nach dem Marsch.

[Für mich war es eine wohltuende Erfahrung, zu sehen, wie sich der Körper allmählich immer mehr an die Strapazen gewöhnte. Die morgendlichen übergangsphasen von verfroren und steif hin zu wieder warm und zufrieden waren jeden Tag etwas kürzer, und zum Schluß fühlte ich mich in meinem Leinenhemd, das ich in zehn Tagen nur einmal abgelegt hatte, und meiner engen Uniform sogar wohl. Fast mußte ich mich überwinden, wieder zu den hygienischen Gewohnheiten des 21. Jahrhunderts zurückzukehren, tat es dann aber natürlich doch. Außerdem war es begeisternd mitzuerleben, was ein eiserner Wille gegen Unbillen wie entzündete Gelenkkapseln und Blasen an den Füßen vermag. Sans-Souci]

Délicat



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