Das nächtliche Lager der Preußen (Symbolbild). |
Le Bonheur, La-Belle-Mer und ich schleichen uns durch den Wald an das Lager der Preußen an. Nun gut, wir versuchen, uns anzuschleichen. Bei fast jedem Tritt knackt ein trockener Zweig unter unserem Fuß, oder an unserem Hut streift geräuschvoll ein Zweig entlang. Unsere einzige Hoffnung ist, daß man das alles nicht so weit hört! Unsere Kleidung ist auch nicht optimal. Es ist zwar dunkle Nacht, aber es ist trotzdem noch hell genug, daß Le Bonheurs gekreuzte Bandeliers über seinem dunkelblauen Uniformrock deutlich sichtbar sind. Meine Bandeliers erkennt man dagegen nicht, ich habe nur eine weiße Ärmelweste an, auf der sie nicht weiter auffallen. Doch natürlich hilft das wenig, man sieht mich im Dunkeln aus noch größerer Entfernung als ihn. Die dunkelblauen Westen für die Leichte Infanterie haben ihren Vorteil. Es ist nicht nur dunkel, sondern auch etwas neblig. Davon profitiert La-Belle-Mer, auf dessen hellgrauem Mantel die Bandeliers nicht kontrastieren, und den ich manchmal sogar komplett aus den Augen verliere, weil bei der Dunkelheit das Grau der Wolle im Grau des Nebels verschwimmt. Ein knackender Zweig unter seinem Fuß klärt mich dann immer wieder darüber auf, wo er sich gerade befindet.
Wir wissen nicht genau, wo das Lager der Preußen ist, nur die ungefähre Richtung. Doch nachdem wir eine sanfte Kuppe erreicht haben, sehen wir wenige Meter vor uns einen Waldrand, dahinter eine Wiese, und in etwa 150 Schritt Entfernung das hell lodernde, etwa mannshohe Lagerfeuer der Preußen. Weshalb haben sie ein so großes Feuer gemacht? Um die Wiese ringsum etwas zu beleuchten und illegale Annäherungsversuche rechtzeitig erkennen zu können? Weiter links erkennt man im Feuerschein Zelte, und zwei unbewegliche helle Lichtpunkte. Laternen? Wir beobachten die Situation eine Weile. Menschen sind nicht erkennbar, doch klingen hin und wieder Stimmen zu uns herüber. Wahrscheinlich liegen sie auf dem Boden rings ums Feuer und sind deswegen nicht zu sehen. Von weit hinten rechts erscheint irgendwann ein Lichtpunkt und bewegt sich auf das Lagerfeuer zu. Eine Patrouille? Aber weshalb mit Laterne? Sie beleuchten sich damit vor allem selbst und sind für im Hinterhalt befindliche Feinde perfekt zu erkennen. Ist das vielleicht als eine Art Falle gedacht, und hinter ihnen folgt eine weitere Gruppe ohne Laterne? Nun, das helle Licht erreicht das Lagerfeuer und drei Silhouetten werden vor ihm sichtbar. Das Feuer geht ihnen nur bis zum Knie. Sie sind 70 Schritt entfernt, keine 150! Wir reden ab sofort mit etwas gedämpfterer Stimme.
Wir beschließen, uns auf drei verschiedene Seiten des Feuers zu schleichen und dann alle drei gleichzeitig auf die Preußen zuzustürmen, den Überraschungsmoment zu nutzen und sie gefangenzunehmen. Wenn sie herumliegen, werden die ihre Waffen nicht bei der Hand haben. Aber wie wissen wir, wann wir alle drei die Ausgangspositionen für unseren Angriff erreicht haben? Gute Frage. Wir machen aus, daß wir zu unserem Zielpunkt schleichen, eine Weile warten, und wenn wir glauben, daß die anderen ebenfalls bereit sind, losstürmen. Sobald einer von uns den Überfall begonnen hat, eilen die anderen beiden auch sofort auf das Lagerfeuer zu, egal wo sie sich gerade befinden.
Ich drücke mich links herum den Waldrand entlang. Eine schlechte Idee, wie ich bald merke. Ein preußischer Soldat steht von seinem Platz am Lagerfeuer auf und geht in meine Richtung auf den Waldrand zu. Offenbar werde ich in meiner weißen Ärmelweste vor dem dunklen Hintergrund des Waldes vom Lagerfeuer hell genug erleuchtet, um erkennbar zu sein. Der joviale Preuße, etwa 10 Schritt entfernt, blickt in meine Richtung und wirft mir ein unbeschwertes "Salut!" zu. Ich schweige und bewege mich nicht. Vielleicht ist er sich ja nicht sicher, tatsächlich einen Menschen zu sehen. "Ich seh Dich!" Mist. Ich schweige weiter, um nicht durch meine Stimme zu verraten, daß ich nicht zu seinen Kameraden gehöre. Kurze Pause. "Na, dann nicht." Er geht weiter bis zum Waldrand und bleibt dort, etwa 10 Schritt seitlich von mir entfernt, stehen, direkt vor sich in den Wald hineinblickend. Da er längere Zeit unbeweglich in dieser Position verharrt, erkenne ich den Grund seines Ausflugs zum Waldrand.
Aus Gutmütigkeit warte ich, bis er sein kleines Geschäft erledigt hat, und hechte dann, als er sich umdreht und wieder zurück Richtung Feuer gehen will, auf ihn zu. Ich lege meine Muskete auf ihn an: "Kein Wort, oder Du bist tot!" Natürlich würde ich mich nicht mit Schießen aufhalten, falls er seine Kameraden alarmieren würde, sondern mich so schnell wie möglich entfernen, aber das weiß er nicht. Er bleibt stumm stehen. Zwar habe ich sträflicherweise vergessen, meine Muskete zu laden, doch weiß er das zum Glück auch nicht. Ich lege ihm meine linke Hand auf die Schulter, setze ihm mein Bajonett auf die Brust, und ziehe ihn rückwärts zum Waldrand: "Es ist besser für Dich, zu schweigen. Wieviele seid ihr?" Er ist intelligent genug, den Kontext meines "Schweigegebots" richtig zu deuten und antwortet schlau: "Ich kann nicht zählen." Doch zum Glück kann ich ja zählen: "Nenn mir die Namen und Dienstgrade aller deiner Kameraden!" Sieben einfache Soldaten, dazu ein Offizier und zwei Unteroffiziere. Der Offizier soll bereits schlafen. Wie ich später feststelle, hat er den zweiten Unteroffizier nur erfunden, um mich zu beeindrucken und dadurch möglicherweise von weiteren Aktionen abzuhalten.
Nun, ich bin:
1 französischer Soldat, nebst
1 Gefangenen, und vor mir:
um die 10 Preußen.
Etwas zuviel für eine direkte Konfrontation. Doch Preußen sind bekannt dafür, obrigkeitshörig zu sein. Vielleicht kann ich meinen Gefangenen nutzen, um an einen der Kommandeure heranzukommen und über ihn die ganze Truppe in meine Gewalt zu bekommen. Oder zumindest kann mir mein Gefangener behilflich sein, mich dem Feuer unbemerkt zu nähern und die Soldaten dort einzuschüchtern, indem ich den Überraschungseffekt ausnutze. La-belle-Mer und Le Bonheur haben es dann leichter, als weitere Überraschung dazuzustoßen, weil alle durch mich abgelenkt sind. Inzwischen ist soviel Zeit vergangen, daß beide ihre Ausgangspunkte für den Angriff erreicht haben müssen.
Mein Angebot an meinen Gefangenen: "Du gehst zum Feuer zurück und sagst kein Wort. Ich bin direkt hinter Dir und steche Dich sofort nieder, falls Du etwas verrätst. Sobald wir am Feuer angekommen sind, werde ich meine Muskete auf einen Unteroffizier richten, und den bedrohen. Du bist dann wieder frei und außer Gefahr." Das scheint ihm einzuleuchten, und er willigt ein. Langsam geht er aufs Feuer zu, ich folge gebückt direkt hinter ihm, das Bajonett ständig auf seinen Rücken gerichtet. Es klappt! Seine Schultern sind so breit, daß ich, vielleicht etwas zu risikofreudig, sogar meinen Hut auflasse.
Er erreicht das Lagerfeuer, ich erblicke einen Unteroffizier, springe seitlich an meinem Ex-Gefangenen vorbei, richte die Muskete auf den Unteroffizier und — stürze längs zu Boden.
Ich habe einen langen Baustamm von über einem Fuß Durchmesser übersehen, der quer auf dem Boden liegt. Kack!
Ich rappele mich sofort wieder auf und richte die Muskete wieder auf den Unteroffizier, aber einer der Preußen (mein ehemaliger Gefangener? – ich kann ihn leider nicht ansehen, weil ich mich auf meinen Unteroffizier konzentrieren muß) hat trotz des Überraschungseffekts sofort reagiert, und ich fühle an meinem linken Ohr die Spitze eines Bajonetts, an dessen anderem Ende sich eine – wahrscheinlich geladene – Muskete befindet. Der Unteroffizier fordert mich auf, meine Waffe niederzulegen, ich bitte ihn dagegen, sich zu ergeben, denn wenn sein Soldat auf mich schieße, würde ich als letzte Aktion in diesem Leben reflexartig meine Muskete noch abfeuern, was mir leid tun würde. Wir diskutieren noch etwas herum, er zieht sogar trotz meiner gegenteiligen Versicherung in Zweifel, daß meine Muskete überhaupt geladen sei, will es aber auch nicht auf einen Versuch ankommen lassen.
Ich beschließe, weiter Überzeugungsarbeit zu leisten, um La-belle-Mer und Le Bonheur Gelegenheit zu geben, unbemerkt von den durch mich abgelenkten Preußen näher heranzukommen und mithilfe ihrer Musketen und Bajonette den Fortgang der Verhandlungen zu unseren Gunsten zu wenden. Doch allmählich gehen mir die Argumente aus. Wieso zum Teufel kommen La-belle-Mer und Le Bonheur nicht? Unsere Diskussion am Feuer geht weiter und dreht sich im Kreis. Wo zum Teufel sind La-belle-Mer und Le Bonheur? Um noch etwas Zeit zu gewinnen, fange ich sogar an, meine Argumente gegenüber dem preußischen Unteroffizier zu wiederholen. Weshalb zum Teufel sind La-belle-Mer und Le Bonheur immer noch nicht da? Schließlich hat ein Preuße Mitleid mit mir und meiner sich erschöpfenden Kreativität, er fällt mir in den Arm oder vielmehr um den Hals, das entwaffnet mich, mit noch entwaffnenderer Freundlichkeit wir mir ein Bier in die Hand gedrückt, und wir gehen zum freundschaftlichen Teil des Abends über.
Etwas später taucht La-belle-Mer auf, und dann noch etwas später auch Le Bonheur. Beide hatten sich, um zu vermeiden, vor dem dunklen Hintergrund des Waldes vom Lagerfeuer hell beleuchtet und dadurch vorzeitig entdeckt zu werden, durch den Wald mit seinem dichten Gebüsch und dornigem Gestrüpp gekämpft, was ihre Bewegungsgeschwindigkeit gewaltig verringerte.
Eine militärisch naheliegende und sinnvolle Aktion wäre natürlich gewesen, vom Waldrand aus auf das durch das Feuer hell erleuchtete Lager zu schießen und dann rasch wegzulaufen, um nach einiger Zeit wiederzukommen, und das immer wieder zu wiederholen. Doch gab es leider keine Genehmigung der nahegelegenen Gemeinde, während der Nacht unsere Musketen abzufeuern.