"Mit" Bonaparte über den Col de Cou

La Cravate.
Auf der Hälfte der Strecke.

Spät in der Nacht trafen wir in Borgo di Bard ein. Ungeachtet der Strapazen des folgenden Tages beschloss der putzmuntere Grenadier Sans-Souci, beim Trinkgelage einiger französischer Volontaires, von denen kaum einer Französisch sprach, mitzuhalten, während Grenadier La Cravate schon gegen 2 Uhr die Flinte ins Korn warf. Diese Nacht hatte auch ihre Vorbedeutungen, denn es begann leicht zu regnen, und ich steckte deswegen meinen Säbel mit unter die Decke, um ihn und die Säbelscheide (!) vor dem Nass zu bewahren.

Am folgenden Tag meldeten wir uns zu unserem Marsch ab. Im Zentrum des Ortes verkosteten wir leckere italienische Spezereien und bekamen Auskunft, wo wir den Aufstieg zum Tête de Cou finden würden. Der Weg war ungemein mühsam, da er sich einfach anfühlte, als müsse man beständig Treppen steigen und so legten wir schon auf dem ersten Abschnitt etliche Pausen ein. An einem idyllischen Brunnen trafen wir einen Einheimischen, der uns bereitwillig eine Abkürzung zum Col de Cou zeigte, ein rot markierter Weg. Ich hatte zu dem Zeitpunkt offen gestanden schon meine Bedenken, ob es nicht für den Aufstieg schon etwas zu spät wäre, obwohl wir wirklich schon vor um 9 Uhr aufgebrochen waren. Dennoch reizte mich das Ziel, wobei hinzu kam, dass die auskunftsfreudigen Einheimischen gerne davon erzählten, was hier und dort 1800 geschehen sei. So genossen wir immer wieder Ausblicke auf das Dorf Albard (Hameau de Bard) von dessen höchster Erhebung der 1er Consul die Festung Bard, weit unterhalb von uns im Tal der Ayasse und Dora, inspiziert haben soll, während seine Infanterie wohl auf demselben Pfad, den wir nutzten, den Col de Cou passierte. Ein freundlicher Passant sagte uns an einer Stelle, als es schon zu nieseln begann, es seien nur noch 1.500 Meter zu gehen bis zu dem Pass, den die französischen Truppen genommen haben, um das Fort von Bard zu umgehen. Der Weg war wirklich herrlich, teilweise mit Abschnitten, wo er nur ganz schmal war, links eine senkrecht herabfallende und rechts eine steil empor steigende Felswand ohne Halteseile oder Geländer. Dafür lieben es die Leute der Gegend, gewaltige Mauern aus dem vorkommenden Geröll zu errichten. Unzählige Ziegenköttel waren stumme Zeugen davon, wie diese Tiere in Scharen diesen Pfad hinauf getrieben werden. Besonders beeindruckend fand ich eine Art Weiler von zahlreichen Häusern und Stallgebäuden, die teilweise in den Fels hinein gebaut waren, und der scheinbar seit langer Zeit schon von den Menschen verlassen worden war. Aber es gibt in der Gegend zahlreiche Zeugnisse von solchen Behausungen, die vielleicht für die Hirten für bestimmte Phasen im Jahr errichtet wurden. Dann begann sich der Himmel zu verdunkeln und ich ahnte, dass ich mit meinen Befürchtungen Recht behalten sollte.

Doch kurz vor der Capella di Verale änderte sich wieder das Wetter. Nur hatte ich dummerweise gehofft, wir wären bereits am Ziel – dem Col de Cou. Doch stattdessen trafen wir auf zwei nette Herren, die hier oben auf dem Bergmassiv zeitweilig wohnten und gerade an einem weiteren Haus bauten und sich offenbar um die Kapelle kümmerten. Einer von ihnen bot sich an, uns zum Col de Cou und einer gesprengten Festung zu führen. Obwohl es bereits 4 Uhr Nachmittags war und ich meine Bedenken hatte, nahmen wir an und folgten dem freundlichen Mann, der offenbar die Berge wie seine Westentasche kennt. Wir ließen uns den Col de Cou hinauf bis zu den Ruinen der Festung führen und wurden dann, über einen Trampelpfad ein wenig Weg abkürzend, zum Haus der beiden Männer geführt. Dort teilten wir mit ihnen unseren Wein und Wurst und bekamen dafür eine gewaltige Flasche sprudelnden italienischen Wein vorgesetzt. Einer von ihnen erzählte uns, dass dieser Weg, den wir gegangen waren, tatsächlich der gewesen ist, den Bonapartes Infanterie der Armée de Réserve genommen hatte. Die französische Kavallerie war durch ein anderes Tal gezogen und die Artillerie hatte man heimlich unterhalb der Festung Bard mit mit Stroh umwickelten Rädern der Geschütze durchs Tal der Dora geführt. Ich fragte mich immer, wieviele damals wie ich an einer Stelle ausgerutscht oder in die Tiefe gestürzt sind und wie Bonaparte persönlich den Col de Cou hinab gelangte - zu Fuß? Getragen? Denn für Pferde war der Pfad, zumindest wie wir ihn erlebten, doch sehr steil und gefährlich.

La Cravate.
Nichts hielt uns auf.

Schließlich zogen sich wieder dunkle Wolken zusammen und ich drängte zum Aufbruch. Tatsächlich stiegen wir deutlich geschwinder nach Albard hinab als wir herauf gekommen waren. Wir machten weniger und kürzere Pausen. Doch bei dem Weiler, von wo der 1er Consul auf das Fort von Bard herabgeschaut hatte, begann ein Starkregen – andere sagen, es war ein Schauer – welcher uns in Kürze vollkommen durchnässte. Dann verlor sich einer der Wege im Nirgendwo und wir beschlossen, die Straße nach Donnas zu nehmen, auch weil wir bei dem Unwetter und der Finsternis wohl kaum den steilen Weg nutzen konnten, den wir am Morgen genommen hatten. Vielleicht weil diese Berge wirklich so ziemlich menschenleer sind, hatte ich immerhin das seltene Erlebnis, auf kurze Distanz beim Rückweg zweimal Alpengämse zu sehen. Wir hatten ja zu meiner Überraschung oben auf dem Berg keine Ziegen gesehen. Diese sollen laut der beiden Eremiten von den Wölfen gerissen werden. In regelrechten Bächen schoss das Wasser über die Straße. Langsamer als von mir erhofft kamen wir voran, auch da Grenadier Sans-Souci seine Füße zu schaffen machten. Währenddessen beunruhigte mich vor allem der Umstand, dass wir bei einsetzender Kälte bis auf die Knochen durchnässt waren. Alle Lederteile verzogen sich und so musste ich irgendwann feststellen, dass ich meine Säbelscheide eingebüßt hatte. Ich vermute, dass sie durch das Bandelier rutschte, als sich dieses verformt hatte und ich gegen eine Stützmauer an der Straße lehnte. Auch unsere Hoffnung, noch halbwegs rechtzeitig nach Donnas zu gelangen, um uns in einer Cantina bei Kaffee oder einem anderen Heißgetränk aufzuwärmen, zerschlug sich bald. Als wir durch das malerische Städtchen kamen, war die Hauptstraße menschenleer und das einzige Wirtshaus offenbar schon seit einer Weile geschlossen. Bei immer wieder herabzuckenden Blitzen marschierten wir weiter auf einer römischen Straße, die am Fluss entlang führte. Es wurde immer dunkler, dass ich beinahe die Hoffnung aufgab in der Nacht noch Borgo di Bard zu erreichen.

Nach einem schweren letzten Anstieg kamen wir doch noch zum Lagerplatz. Doch sahen wir dort keine Franzosen. Daher suchten wir, woanders unsere Nachtruhe sicher vor dem Regen zu finden. Nach einigem Gesuche legten wir uns vor das Eingangsportal der schönen Kirche des Ortes nieder. Mitten in der Nacht wurde ich wach, weil ich entsetzlich durch die durchnässten Kleider fror. Ich musste frustriert feststellen, dass durch die Feuchtigkeit sogar alles im Tornister vollkommen durchnässt war. Insbesondere Teile aus Leinen hatten Wasser gezogen und so war mein frisches Hemd sogar teilweise nass. Endlich konnte ich halbwegs einschlafen. Ich wurde dann durch die in die Kirche kommenden Gläubigen geweckt, während Sans-Souci so fest schlief, dass einige ältere Frauen mich auf Italienisch fragten, ob er tot sei. Naja, zu verdenken war es ihnen nicht, da sein Gesicht verdeckt war. Irgendwann bekam ich ihn zum Aufstehen und wir beschlossen, den Tag dazu zu nutzen, unsere Ausrüstung zu trocknen und die Waffen zu reinigen. Unten nahe am Ufer der Dora Baltea stärkten wir uns mit Kaffee und Gebäck und marschierten dann hinauf zu der das ganze Tal beherrschenden Festung. Anders als im Juni 1800 hatte "unser" Bonaparte offenbar diesmal nicht vor, die eingenommene Festung zu sprengen. Das verschaffte uns die Zeit, die ein wenig exerzierenden und Salven feuernden französischen Truppen zu sehen, die in der eroberten Festung untergebracht waren. An einer Mauer, von wo man herrlich in Richtung Aosta das Tal mit den steil aufragenden felsigen Bergen betrachten konnte, breiteten wir unsere Ausrüstung aus. Meine Hose war noch immer vollkommen nass. Gut gelaunt putzten wir unsere Musketen, Bajonette und Säbel. Gestärkt von einem guten, nahrhaften Mahl, das wir zugeteilt bekommen hatten, brachen wir kurz danach auf.

Ich muss sagen, dass mir prinzipiell bis auf den Umstand, dass ich meine Säbelscheide verloren habe, der Trip nach Bard ziemlich gut gefallen hat. Es wäre schöner gewesen, wenn ein paar mehr von uns dabei gewesen wären, da ich kein Italienisch kann und mich kaum unterhalten konnte, was zumindest den Freitagabend etwas langweilig machte. Mir fehlte auch das Singen und ein Lagerfeuer zum Aufwärmen. Für uns 22er ist Bard von daher reizvoll, da man in der schönen Landschaft auf den Spuren der Armée de Réserve wandeln kann, der ja die 22e demi-brigade 1800 tatsächlich während dem Feldzug angehört hat, der dann zur Schlacht bei Marengo führte. Wir haben für uns das Beste draus gemacht und vielleicht ein bisschen was dazu gelernt, was das Einschätzen unserer Kräfte anbelangt. Mein Dank gilt meinem Kamerad Sans-Souci für die schöne Gesellschaft. Wir sollten noch mehr über diesen Feldzug lernen und jede Gelegenheit nutzen, auf den Wegen unserer historischen Einheit zu gehen.

Salut et Fraternité

La Cravate



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